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Im MBSR-Kurs nehmen wir uns die Zeit Meditation und Achtsamkeit intensiv zu erleben. Die theoretischen Inputs sind eher kurz gehalten. Wenn du dir gerne mehr Hintergrundwissen aneignen möchtest, lies‘ diesen Blog und du erfährst zu jeder Einheit die wichtigsten Hintergrundinfos von mir zusammengestellt. In diese Beiträge fließen auch Erkenntnisse ein, die ich außerhalb meiner MBSR Ausbildung gelernt habe. 

 


Woche 1: Achtsamkeit

Lass‘ uns zunächst ein Begriffsverständnis entwickeln. Achtsamkeit wird manchmal verkürzt als das Gegenteil von Unachtsamkeit verstanden. Es geht aber nicht darum, immer gut aufzupassen oder in einem anstrengenden Sinne ständig aufmerksam zu sein.

Achtsamkeit ist sehr viel mehr. Es ist ein heilsamer Blick auf die Welt, denn wir erlauben uns im Moment zu leben und das Jetzt zu genießen. Der Alltag hält viele Glücksgefühle für uns bereit, die wir nur wahrnehmen können, wenn wir nicht durch unsere Gedanken oder Medien abgelenkt sind. Nimmst du bewusst den Genuss wahr, wenn du dir einen Kaffee oder ein Stück Schokolade nimmst? Wie sehr genießt du Körperberührungen, das freundliche „Hallo“ in der Bäckerei oder dein eigenes Lächeln im Spiegel? Deinen Lieblingspullover, das Vogelgezwitscher, das Telefonat mit einer alten Freundin?

Oft hängen unsere Gedanken in der Zukunft oder Vergangenheit. Wir planen und bereiten uns auf kommende Situationen vor und wir benutzen unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit, um Prognosen für die Zukunft abzuleiten. Leider sind wir evolutionsbiologisch darauf ausgelegt, schlechte Nachrichten und Aussichten als besonders wichtig wahrzunehmen. In früheren Zeiten hat das unser Überleben gesichert. Heute bedingt es massiv Stress, denn wir sind den schlechten Nachrichten aus der ganzen Welt ausgeliefert (sofern wir sie konsumieren) und kommen ständig in neue soziale Situationen (Familie, Arbeit, Straßenverkehr, Freizeit), die Unvorhergesehenes für uns bereithalten.

Unser Alltag sieht meist keine Zeiten vor, die wir nutzen, um mit uns selbst in Kontakt zu sein, Erlebtes zu verarbeiten und auf unsere innere Stimme zu hören. Unsere Gefühle nehmen wir eher unterschwellig wahr, oder erst dann, wenn es uns richtig schlecht geht. So staut sich Vieles auf, oder entlädt sich unreflektiert in heftigen Streits mit unseren Liebsten, Burnout oder anderen körperlichen und psychischen Stressymptomen.

Achtsamkeit ist dabei nicht nur funktional als Stressreduktionsinstrument verstehen, sondern als Ausrichtung des eigenen Lebens im Einklang mit den individuellen Bedürfnissen. Achtsamkeit ist unser Türwächter. Sie lässt in unseren Lebensraum hinein, was hilfreich ist und hält jene Einflüsse draußen, die uns nicht gut tun. Wir nehmen uns die Zeit zu entscheiden und für uns selbst einzustehen. Dies erfordert Bewusstsein, denn im Autopilotmodus treffen wir oft die falschen Entscheidungen. Mit Achtsamkeitstraining erarbeiten wir uns diese Form der Selbstwirksamkeit, indem wir auf den Alltag schauen und neue Entscheidungen treffen, sei es im Hinblick auf die Gestaltung unserer Tage, die Kommunikation mit anderen Menschen oder die Art wie wir Verantwortung übernehmen.

 

In den letzten 25 Jahren ist Achtsamkeit und das MBSR-Programm im Speziellen wissenschaftlich sehr breit erforscht worden. Menschen wollen besser verstehen, warum dieses Programm seine besondere Wirkung zeigt. Wir können die Wirkmechanismen gliedern in 1. Aufmerksamkeitsregulation, 2. Emotionsregulation und 3. Empathie und Selbstmitgefühl.

 

1.     Eine regelmäßige Meditationspraxis verändert unsere Aufmerksamkeitsprozesse. Wir steuern unsere Aufmerksamkeit bewusster uns bedarfsorientierter. Wenn wir lernen unsere Gedanken bewusst wahrzunehmen und die Möglichkeit negative Gedanken(-spiralen) zu erkennen und dann bewusst nicht weiter zu denken, sind wir einen großen Schritt weiter.

2.     Denn so gelingt es uns durch die Beeinflussung von Gedanken auch Emotionen zu regulieren. Häufig erleben wir, dass negative Gedanken unmittelbar eine negative Stimmung nach sich ziehen. Indem wir Gedanken bewusst nicht weiterdenken können wir uns aus diesem Teufelskreis befreien. Positiv wirkt sich auch die in der Meditation geübte Haltung des Annehmens und Akzeptierens aus. Gefühle erhalten die von ihnen beanspruchte Aufmerksamkeit und Spannungen lösen sich.

3.     Mit Achtsamkeit sind wir uns unserer Bedürfnisse mehr bewusst und entwickeln Selbstmitgefühl und Empathie, wodurch sich auch Beziehungen verbessern.

 

Um im Moment anzukommen, können wir unsere Aufmerksamkeit auf die Sinne richten. Was hörst du? Was siehst du? Was riechst du? Jetzt und hier. Sofort gewinnt deine Wahrnehmung an Intensität, wenn du dich auf etwas fokussierst. Wir können tief schauen und tief zuhören, um mehr von unserer Umwelt zu erfahren, als es im Alltag meist der Fall ist.

Essen ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Oft bekommen wir nicht so viel davon mit, was wir essen. Dabei ist es eine großartige Sinneserfahrung, die wir uns immer wieder neu kreieren können.

Wir können überlegen, wie viel Aufwand und Mühe in einem einzigen reichhaltigen Mittagessen steckt. Aus welchen Ländern kommen die Zutaten? Wie lange sind sie gewachsen? Wer hat sie alles zu dir transportiert?

Es ist eine schöne Gelegenheit immer wieder Dankbarkeit zu praktizieren und die Verbindung mit der Welt um uns herum wahrzunehmen.

 

Was Achtsamkeit für dich persönlich bedeutet und was sie dir offenbart, erfährst du im Kurs!

Woche 2: Wie wir die Welt wahrnehmen

 

Wir nehmen die Welt wahr und konstruieren uns anhand dieser Wahrnehmungen eine Wirklichkeit. Dieses Konstrukt ist ein Abbild unsere Herkunft, unserer Kultur unserer Art zu Denken. Es ist individuell und nicht universell. Es ist ein sich wandelndes Gebilde, das in jedem Moment ein bisschen anders ist, je nachdem mit welcher Stimmung wir da sind und was wir gerade erleben. Philosophisch lässt sich darüber streiten, ob es eine geteilte Wirklichkeit überhaupt gibt, da wir alle mit unseren individuellen und einzigartigen Augen auf die Welt schauen. 

 

Dieser individuelle Blick auf die Welt führt häufig zu Missverständnissen - in Liebesbeziehungen, Familien und jeder Form von sozialen Gruppen. Wir gehen zu gerne davon aus, unser Gegenüber hätte den gleichen oder zumindest einen ähnlichen Blick auf die Welt. Im Achtsamkeitstraining üben wir eine Haltung des Nichtwissens. Das ist erst einmal fremd, denn in unserer Gesellschaft hat Wissen einen sehr hohen Stellenwert, wird mit Kompetenz und Macht assoziiert. Und dennoch ist eine Haltung des Nichtwissens in vielen Momenten hilfreicher, da wir uns die Perspektive einer anderen Person nie zu 100% erschließen können. Stattdessen bleiben wir mit unserer Geisteshaltung offen für die Möglichkeit, dass sich die Dinge anders darstellen, als wir vermutet haben. 

 

Es kann auch hilfreich sein, bestimmte menschliche Wahrnehmungsfehler zu kennen, um die eigenen Gedanken immer wieder einmal kritisch zu hinterfragen. Der „confirmation bias“ (deutsch: Bestätigungsfehler) führt uns vor Augen, dass wir Informationen, die unserem vorhandenen Wissen oder auch unserer Meinung entsprechen selektiv stärker wahrnehmen. 

Der „halo-Effekt“ besagt, dass wir beispielsweise Personen, die wir sympathisch finden ohne erkennbare Grundlage weitere positive Eigenschaften zuschreiben und umgekehrt Menschen die wir nicht mögen, mit negativen Zuschreibungen ausstatten. 

 

Wir Menschen neigen dazu uns zu vergleichen und Systeme zu erschaffen, die dazu dienen uns mit anderen zu messen und so zu einer Selbsteinschätzung zu kommen, oder unseren Selbstwert zu bestimmen. Dieser Vorgang ist immer problematisch. Manche Menschen schätzen ihren Selbstwert als gering ein. Für die Psyche ist das belastend und steht häufig in Zusammenhang mit Depressionen und anderen Störungsbildern. Aber auch ein hohes Selbstwertgefühl birgt Risiken. Denn der Akt des Vergleichens führt immer dazu, dass wir andere Menschen begutachten und uns im Wettbewerb mit ihnen sehen. Vielleicht ist da Unzufriedenheit, weil andere noch erfolgreicher, schöner oder beliebter sind, oder wir schauen auf sie herab, wenn wir feststellen, dass wir Ihnen überlegen sind. In vielen Bereichen könnten wir von einer Normalverteilung ausgehen, aber eine durchschnittliche Leistung wird in der Regel negativ wahrgenommen. Eine durchschnittliche Intelligenz, eine durchschnittliche sportliche Leistung, eine durchschnittliche Beziehung entspricht nicht dem oft vorhandenen Bedürfnis besonders zu sein. 

Kristin Neff schlägt vor, dass wir statt den Gedanken an unseren Selbstwert das Konzept des Selbstmitgefühls internalisieren. Dazu mehr in Woche 6. 

 

Wenn du dir sicher bist, prüfe es noch einmal. Thich Nhat Hanh 

 

Woche 3: Im Körper beheimatet sein

Wie sehr fühlst du dich in deinem Körper beheimatet? Die meisten Teilnehmenden in meinen Kursen geben zu dieser Frage 4 von zehn möglichen Punkten. Gar nicht mal so viel oder? In unserer modernen Gesellschaft sind wir enorm mit Außenreizen konfrontiert und sehr viel im Kopf unterwegs. Der Körper wird vielfach peripher wahrgenommen. Wir erwarten von unserem Körper meist, dass er funktioniert und keine Schwierigkeiten macht. 

 

Unser Geist hat in den letzten 200 Jahren einen Siegeszug durchlaufen. Der technische Wandel und gesellschaftliche Fortschritt ist ihm zu verdanken. Philosophen haben die Bedeutung des Geistes gegenüber dem Körper hervorgehoben (vgl. Rene Descartes „Cogito ergo sum“ und Immanuel Kant „Habe Mut dich deines Verstandes zu bedienen“). Der Körper hingegen ist häufig Ursprung von Krankheit, Trieb und Laster. 

In den letzten Jahrzehnten wird die Wahrnehmung des menschlichen Wesens glücklicherweise wieder ganzheitlicher. Viele Menschen entdecken die positive Wirkung von Yoga gleichermaßen auf Körper und Geist. Auch in der Psychotherapie halten vermehrt körperbezogene Verfahren, unter anderem auch das Konzept von Achtsamkeit Einzug. Wir können sehr davon profitieren, dem Körper Aufmerksamkeit zu schenken, denn er sendet uns viele Signale. Wir können lernen unsere Bedürfnisse stärker wahrzunehmen und glückliche Momente kreieren beispielsweise durch Sport, gutes Essen oder wohltuenden Körperkontakt. 

 

In dieser Kurseinheit beschäftigen wir uns zudem mit der Wahrnehmung von Grenzen. Bei den achtsamen Körperübungen können wir wahrnehmen bis wann uns die Übung gut tut und wann der richtige Moment ist, wieder in die Ausgangshaltung zurückzukehren. In unserem Alltag gelangen wir auch immer wieder an Grenzen und gehen leider zu häufig darüber hinaus. Mit Achtsamkeit können wir schrittweise mehr Selbstwahrnehmung und –fürsorge entwickeln, um unsere Grenzen mehr zu achten. Mit etwas Mut können wir erfahren, dass wir uns selbst und unseren Mitmenschen damit einen großen Gefallen tun. 

Woche 4: Stress achtsam begegnen

Langsam wird es Zeit unserem Stress einmal „Hallo“ zu sagen. Stark und mutig! Denn meistens wollen wir unseren Stress einfach weghaben und möglichst in die hinterste Ecke unseres Bewusstseins verfrachten. Dabei meint er es gar nicht böse und ist eigentlich ein guter Wegweiser, der uns zeigen möchte, wo Gefahr oder Überlastung droht, um uns vor körperlichen oder emotionalen Wunden zu schützen. Wir können uns entscheiden, unserer inneren Stimme zuzuhören und soweit wie möglich, in unserem Alltag Raum schaffen, um unsere Stressmuster zu erforschen und Strategien für ein anderes Verhalten zu entwickeln. 

Es ist wichtig zu erkennen, dass die körperliche Stressreaktion ein alter Mechanismus ist. Der Körper passt sich nicht in der Form an die Gegebenheiten unserer modernen Gesellschaft an, wie es nötig wäre. Das Stresshormon Cortisol baut sich im Körper in kürzester Zeit auf, aber erst im Rahmen von 8 Stunden wieder ab. Ohne Regenerationsphasen baut sich so ein dauerhaft erhöhter Stresspegel auf, der zu oft im Burnout mündet. 
 Morgens die Kinder für die Schule bereitmachen, dann durch den wilden Straßenverkehr zur Arbeitsstelle und da einen Berg voll Arbeit? Emotionale Belastungen durch Verluste oder Beziehungsstress, auch das kann zu viel sein. Stressquellen sind vielschichtig und oft summiert sich Einiges auf. Von vielen Seiten werden Erwartungen an uns herangetragen und auf die Dauer können wir nicht mehr geben, als unsere Ressourcen zulassen. Das ist menschlich und sollte nicht mit Scham behaftet sein. 

Mit dem Achtsamkeitskurs schaffst du einen Raum und eine Priorität für deine Gefühle und Bedürfnisse. Das ist wichtig, damit du mit Freude da sein und aus einem erfüllten Herzen Geben kannst. 

 

Vervollständige für dich die Sätze: 

Ich gerate in Stress, wenn… 

Wenn ich in Stress gerate, dann… 

 

Die erste Frage ermöglicht dir Stresssituationen bewusster zu machen. Wann kannst du im Alltag achtsamer wahrnehmen, dass du in eine unangenehme Situation hineingerätst? Was sind die ersten Anzeichen? 

Die zweite Frage führt dir deine körperlichen, emotionalen und mentalen Signale vor Augen. Menschen reagieren unterschiedlich auf Stressreize. Wie ist das bei dir? Kannst du so eher bemerken, dass es ein stressiger Moment für dich ist, um dann konstruktiv zu reagieren? 

 

Die Übung für zu Hause in dieser Woche ist es, stressige Situationen im Alltag wahrzunehmen, ohne sie zu verändern. Es ist ein sehr wichtiger Schritt, ins stressigen Situationen in die Achtsamkeit zu finden und einfach zu beobachten. Mit dieser Bewusstheit schaffst du einen neuen Handlungsspielraum, denn Stress läuft nicht mehr im Autopiloten ab und du triffst Entscheidungen wie du dich zu bestimmten Situationen verhalten möchtest. Eine kurze Atempause ermöglicht es oft schon mit etwas mehr Distanz auf die Situation zu schauen und sie neu zu „bewerten“. Wie gefährlich oder schlimm ist das, was gerade passiert wirklich? Ist es die Realität oder sind es meine Gedanken, die den Stress erzeugen. Wie wäre das, wenn sich ab jetzt alles gut entwickelt? 

 

Diese Übung ist von zentraler Bedeutung für das Programm, denn sie bringt dich zurück in ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und einen selbstfürsorglichen Umgang mit dir. In den meisten Fällen bist du dem Stress nicht völlig ausgeliefert, sondern kannst für dich einen Unterschied machen. Tiefe Atemzüge, den Kontakt zum Boden spüren, dich aus der Situation erst einmal herausziehen – nimm wahr, was für dich gerade passend ist.